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Shifted Tags – Kunstverein Villa Streccius

| “Shifted Tags – Erben des Graffiti”. Ausstellungsdauer: 19. Mai – 24. Juni 2018. 
Kurator: Peter Weiler. 

Ihren Anfang hatte die Kunstform des Graffiti im New York der 70er Jahre mit den sogenannten „Tags“. Diese illegal auf öffentliche Wände und Zugwaggons gesprühten Künstlernamen verbreiteten sich schnell weltweit und entwickelten sich mit immer aufwändiger gestalteten Buchstaben, figurativen Elementen und dem 3D-Style zu einer anspruchsvollen Kunstform. Mit dieser Entwicklung ging meist auch der Schritt zu Auftragsarbeiten und legalen Gestaltungen von öffentlichen Wänden einher.
Heute ist die Szene nicht nur in ihren Motiven überaus vielfältig geworden, sondern bedient sich auch klassischer Ausdrucksformen wie Malerei oder Objektkunst.
Die Ausstellung zeigt Arbeiten von Künstlern, die ihre Anfänge als Sprayer auf der Straße hatten, heute aber in ihrem künstlerischen Schaffen für sich völlig neue Ausdrucksformen entwickelt haben.
Schlaglichtartig beleuchtet sie das gegenwärtige Graffiti mit vier Positionen: Zersplitterung und Dynamisierung durchziehen die Malereien des polnischen Künstlers Robert Proch, während Tore Rinkveld (EVOL) mit Fotos von Fassaden auf Verpackungskarton eine Art Spurensicherung verschwindender Architektur betreibt. Technisch virtuos und farbgewaltig treibt Mirko Reisser (DAIM) mit der Spraydose Wörter ins Monumentale. Daneben bilden die Sprühmalereien des Landauers Till Heim (SIGN) Anordnungen geometrischer Formen im Zusammenspiel mit verschiedenformatigen Bildträgern aus gefundenen Holzbrettern.


Robert Proch, Tore Rinkveld (EVOL), Mirko Reisser (DAIM)
Courtesy: Kunstverein Villa Streccius e.V. | Foto © MRpro

Vernissage: 18. Mai, um 20 Uhr

Begrüßung:
Barbara Kleinschmidt
Vorsitzende des Kunbstvereins Villa Streccius

Grußwort
Thomas Hirsch
Oberbürgermeister der Stadt Landau

Einführung
Theo Schneider
Kulturjournalist

Musik
Solomon Seed
Reggae Artist

Begleitprogramm
KUNST.NACH(T).LANDAU
Die Ausstellung ist bis 24 Uhr geöffnet. Am Abend mit Live-Musik:
“Palatina Benefiz Orchestra”
Freitag, 8. Juni, 19–24 Uhr
Villa Streccius

“The Rise of Graffiti Writing”
Eine filmische Dokumentation von Redtowerfilms. Mit Unterstützung von Arte.
Donnerstag, 14. Juni, 19.30 Uhr Eintritt frei.

Anlässlich der Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Kunstverein Villa Streccius Landau
Südring 20
76829 Landau / Pfalz


Ausschnitt der Eröffnungsrede von Theo Schneider:

“[…] Die Kunst der Klassischen Moderne will die Welt mit Farbe und Form neu erschaffen. Street-Art erschafft keine neue Welt, sondern setzt neue Zeichen in die vorhandene Welt.
Sie dringt ein in die lauten, bunten, grellen Räume der Großstadt, die unsere Sinne ohnehin schon überschwemmt mit der lauten, bunten grellen Bilderflut des Konsums. Street-Art will und muss sich davon abheben, muss noch lauter, noch greller, noch provokanter, noch erkennbarer, noch ungewöhnlicher sein als all diese schon vorhandenen Bilder der Stadt.
Daher ihre Explosionen, die an die Kunst der Futuristen erinnern, daher das Spitze, Grelle, Blitzende, Aufschießende, Aufmerksamkeit Heischende.
Es ist diese ursprüngliche Kraft, die uns in ihren Bann zieht und die ihre Qualität ausmacht.
Wenn also diese Kunst von der Straße ins Museum wandert, dann ist die entscheidende Frage, ob diese ursprüngliche Kraft noch sichtbar und spürbar ist.
[…] Und noch etwas unterscheidet Urban-Art von der Kunst der klassischen Moderne: Deren Entstehungsort, egal ob Atelier oder Plein Air, ist nicht der Ort ihrer Präsentation. Bei Graffiti und Street-Art sind der Ort ihrer Entstehung und der Ort ihrer Präsentation identisch!
Soweit die reine Lehre! Die in der Praxis der Post-Post-Moderne längst aufgeweicht ist, weil schon lange Kunst in Form von temporären Aktionen, Installationen und Performances auch in Museen und Galerien entsteht. Während umgekehrt immer mehr Urban-Art in die Museen zieht.
[…]
Diese ursprüngliche explosive Selbstbehauptungskraft der Tags im Raum der Großstadt ist hier in der Ausstellung besonders bei Mirko Reisser nicht zu übersehen!
Er wurde 1971 in Lüneburg geboren, hat schon gleich nach dem Abi als selbständiger Künstler gearbeitet und später an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern studiert. Heute lebt er in Hamburg.
Sein Markenname und Icon, sein Tag ist „DAIM“. Und diese Buchstaben tauchen in allen seinen Arbeiten hier auf: Allerdings deformiert, fragmentiert, collagiert und kombiniert in abstrakten Räumen.
2 mal knapp 4 Meter ist seine größte Arbeit hier über der Treppe. Und selbst diese Riesenformate, – es gibt noch viel größere von ihm — sprüht er frei Hand auf Alu-Platten. Große monochrome Flächen werden mit Streichfarben gerollt.
Sie sehen gleich welche tiefen Räume da geöffnet werden, die unsre Blicke in die unendlichen Welten ihrer Graffiti-Kubismen hineinsaugen.

Auch bei Till Heim ist diese ursprüngliche Kraft noch zu spüren. Allerdings sehr viel leiser überführt und verwandelt er sie in Wandobjekte aus Holz, bei denen die Tags zu dreidimensionalen Skulpturen werden.
Till Heim wurde 1977 in Wolfenbüttel geboren und hat in Mainz Mediendesign studiert, bevor ihn die Liebe dann nach Landau geführt hat. Er hat, das darf hier nicht verschwiegen werden, Peter Weiler, bei der Auswahl der Künstler tatkräftig unterstützt.
Auch er sprüht schon lange nicht mehr illegal in urbanen Räumen. Aber er findet in diesen wirklichen Welten sein Ausgangsmaterial: alte Holzreste, die er mit Schablonen und Sprühfarben zu Wandobjekten verbaut, deren Formen die Tags der Graffiti wie ferne Echos bewahren.
„SIGN” — also englisch für Zeichen — ist sein Künstlername, sein Marken-Zeichen!

Kleiner Exkurs in die Semiotik: Hier bezeichnet des Zeichen nur noch sich selbst! Signifikant und Signifikat sind identisch geworden. Das Bild verweist nur noch auf sich selbst!

Robert Proch […] kommt aus Poznan, wo er 1986 geboren wurde. Dort hat er an der Akademie der Künste studiert, dort lebt und arbeitet er auch heute noch.
Er sprüht nicht, sondern malt, zumindest auf den Arbeiten, die Sie hier von ihm sehen. Mit Acrylfarben und Mischtechniken auf den großen Bildern. Oder auf den kleinen Formaten mit Tinte auf Papier.
Es sind die einzigen Arbeiten in dieser Ausstellung auf denen wir Menschen sehen, manchmal Paare, öfter Gruppen. Die in weiten futuristisch-science-fiction-artigen abstrakten Farbräumen oder gar Farbräuschen situiert sind. Die Dinge tun, die wir nicht verstehen: Treiben sie Sport? Spielen sie Spiele? Laufen sie davon? Fliehen sie vor diesen neon-künstlichen Farbwelten? Oder geben sie sich ihren Räuschen hin? […]

Tore Ringveld wurde 1972 in Heilbronn geboren und hat an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd studiert.
Er streunt durch Berlin, wo er seit 2000 lebt. Dort findet er die Bestandteile der Dinge, die Sie in der Ausstellung sehen: Die heruntergekommenen Fassaden und Brandmauern alter Häuser und die Plattenbauten des realen Dingsbums — Sozialismus war das ja nicht!
Die er fotografiert und in komplexen Verfahren am Computer bearbeitet, fragmentiert, collagiert, zu Schablonen reduziert, Das ergibt dann die Raster, die er mit Sprühfarben auf reale Dinge aufträgt: Zum Beispiel auf diese Metallspinde, die oben stehen. Oder auf alte Kartons.
So entstehen formal höchst faszinierende Bildwelten aus wirklichen und künstlichen Welten: Der Fotorealismus von Gebäuden geht über in monochrome Abstraktion und die wiederum in Bildträger aus alten Kartons mit all ihren Gebrauchsspuren.

Einerseits fern von Graffiti — und doch wie sie: Urban-Art „aus”, „mit” und „in” den Räumen der Stadt.”

© Theo Schneider (2018)